
Hunde haben ein erstaunliches Erinnerungsvermögen. Dieses betrifft das in der Ausbildung Erlernte ebenso wie das Wiedererkennen von Menschen, Tieren, Orten und Situationen. Dabei prägen sich gute und schlechte Erfahrungen ein. Hunde denken weniger logisch als wir. Hunde verknüpfen die aktuelle Situation mit Erfahrungswerten und handeln dementsprechend zu ihrem (möglichst großen) eigenen Vorteil. Hunde können dabei auch Vorurteile bilden und sich entsprechend irren.
Gute Erfahrungen verstärken die Verhaltensweise, die zu der guten Erfahrung geführt hat. "Positives Verstärken" nennt man dieses Grundprinzip jeder artgerechten Ausbildung, wie unter "Erziehung und Einwirkungsarten" bereits beschrieben wurde. Deshalb ist das Belohnen im richtigen Moment so wichtig.
Gute Erfahrungen bzw. Belohnungen im falschen Moment können Unarten auslösen. Man denke an das Betteln oder Stehlen am Tisch und das erwartungsvolle Hinrennen zu jedem fremden Menschen oder Hund. Gut gemeinte Leckerligaben und Spielchen mit netten Artgenossen zeigen hier "Nebenwirkungen". Auch das Katzenjagen und Wildhetzen passt in die Aufzählung. Bekommt ein Hund erst einmal die Gelegenheit, einer Katze oder einem wilden Tier hinterher zu laufen, so ist dies gemäß seiner Instinktlage so selbstbelohnend, dass er dieses Gefühl wieder haben möchte und eine entsprechende Gelegenheit nutzen wird. Deshalb ist es wichtig, temperamentvolle Hunde ab dem vierten Monat erst einmal an der langen Leine zu erziehen (Schleppleinen-Training).
Für das Wiedererkennen von guten Gelegenheiten folgt hier ein Beispiel (Tagebuch-Einträge vom 21. und 22.4.2001):
"Belana erinnert sich an die Übungen nähe Elbsee bei Düsseldorf, bei denen sie großes Lob für das Begehen der Gittertreppe zur Aussichtsplattform erhielt. Jetzt versucht sie oft, mit Hilfe unserer eigenen Gittertreppe die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: 'Seht, ich bin jetzt oben auf der gefährlichen durchsichtigen Treppe!'"
"Das Leben ist voller Enttäuschungen. Arme Belana. Hier bekommt sie höchstens ein beiläufiges 'Fein, Belana, komm wieder runter!' zu hören, sonst nichts. Dabei könnte man hier so schön all die Spielchen spielen, die wir früher auf Gittertreppen gespielt hatten, aber keiner interessiert sich dafür. Andererseits möchte ich ihre Dominanz nicht noch weiter stärken, indem ich sie die Spielchen aussuchen lasse, die zu spielen sind. Es sollte mehr von mir ausgehen - leider fehlt mir z. Z. die Zeit. Da sich niemand für die Treppen steigende Belana interessiert, kommt sie wieder hinunter."
In der Erziehung kommen wir i.d.R. nicht umhin, auch mal eine Unart zu verleiden. Dafür wird bewusst eine moderate schlechte Erfahrung inszeniert, die mit der Unart verknüpft werden soll. Dabei sollte man stets an der Wirkungsschwelle bleiben: So sanft wie möglich, aber so hart wie nötig. Bei unseren Welpen beginnen wir dazu das "Nein!" einzuführen, womit sich später auch ohne inszenierte Gemeinheit vieles abstellen lässt.
Leider prägen sich auch ungeplante schlechte Erfahrungen bei Hunden oft lebenslänglich ein. Dabei bilden auch Hunde häufig Vorurteile. Aron begann am Ende einer morgendlichen Trainingsfahrt mit dem Sacco Dog Cart Deutsche Schäferhundrüden so zu hassen, dass ich noch Jahre später Mühe hatte, ihn ruhig an solchen vorbeizulenken. Was genau passiert ist, habe ich in Belanas Tagebuch festgehalten (Tagebuch-Eintrag vom 19.1.1998):
"Wir fuhren bei trübem Novemberwetter gegen Mittag unsere Trainingsrunde. Auf dem Rückweg hatte Aron doppelt Pech: Wir bogen gerade um die letzte Kurve in den Gartenweg ein, an dem unser Gartentörchen liegt, als der Schäferhund von gegenüber angriff. Er war mit Frauchen gerade vom Einkaufen gekommen, hatte uns bemerkt und sich losgerissen, obwohl es erst so aussah, als sei er schon in der Wohnung. Er galoppierte auf Aron zu und attackierte sofort dessen Gesicht. Ich hatte unfairerweise vor Schreck auch noch die Bremse gezogen, so dass mein armer Hund jetzt nur auf der Stelle auf und nieder hüpfen konnte. Der Schäferhund war so klug, dass er tatsächlich NUR in Arons Gesicht biss. Andere Rüden verbeißen sich in Arons Mähne und richten dort keinen Schaden an. Ich sah meinen armen Hund schon bluten, als endlich die Besitzerin des Schäferhund-Rüden eintraf, ihren Hund am Halsband packte und von Aron trennte. Sie entschuldigte sich sehr nett für ihre Unaufmerksamkeit und erzählte, ihr Hund sei versichert, falls ich also zum Tierarzt gehen würde... Allen Befürchtungen zum Trotz, hatte Aron nur einen kleinen Kratzer. Belana und Gladess waren angeleint. Belana hatte die ganze Zeit über gebellt. Dass sie Aron geholfen hätte, wenn sie frei gewesen wäre, glaube ich nicht. Dafür ist sie noch zu klein. Gladess mischt sich grundsätzlich nicht in Arons Streitigkeiten ein. Aron bellte jetzt. Ich musste ihn kräftig festhalten, bis die Frau mit ihrem Hund endlich die Tür hinter sich schloss, sonst hätte er angegriffen."
Eine typische Schäferhund-Begegnung sah später so aus (Tagebuch-Eintrag vom 24.4.2000):
"Ich nutzte die entspannte, ruhige Situation, um die Leinen und das Begleitergeschirr wieder anzulegen. Das war einerseits schon deshalb gut, weil wir uns der viel befahrenen Straße bereits näherten, und andererseits, weil ein Radfahrer mit einem Schäferhundrüden an uns vorbeifuhr, dem ich meine Bande sonst womöglich nicht auf genug Abstand hätte halten können. Meine drei machten jedenfalls ein Riesenrawau, obwohl der Schäferhund lieb und nett wirkte. Leider hat Aron schlechte Erfahrungen mit Schäferhunden hinter sich und reagiert - zumal in angebundenem Zustand - nun seinerseits aggressiv auf alle fremden Hunde, die wie gelb-graue Deutsche Schäferhunde aussehen. Seine Töchter wissen zwar noch nicht wirklich, wofür das gut sein soll, machten aber munter mit. Ich hatte definitiv eine Hand zu wenig zum Schnauze und Kläppchen zuhalten! Mein leise geknurrtes 'Ruh!' ging unter in deren Rawau. Erst als sich alle beruhigt hatten, erlaubte ich meinen Hunden, sich wieder auf den Weg zu machen. Da wir dem Radfahrer und seinem Schäferhund folgten und Aron es sehr eilig hatte, ihn vielleicht doch noch einzuholen, um ihn zu vermöbeln, musste ich bremsen, bis sich unsere Wege offenbar an der zu überquerenden Straße trennten. Obwohl das Radfahrergespann bereits die ganze Zeit außer Sicht war, konnte ich den Unterschied deutlich spüren. Aron war wieder deutlich ruhiger und gelassener."
Gleich zwei weitere Beispiele für Erinnerungen an schlechte Erfahrungen registrierte ich am 27.1.1998, als Belana ein halbes Jahr alt war:
"Auf meiner Trainingsfahrt mit Aron und Belana sahen wir auf der anderen Seite der großen Parkwiese eine schneeweiß angezogene, schwarzhaarige Gestalt auf einer Bank sitzen. Belana kläffte wie verrückt in diese Richtung, dabei waren mindestens 100 m zwischen uns und diesem Menschen. Na klar! Der Tierarzt sieht so aus, fiel mir ein."
Nachträgliche Anmerkung zum Tierarzt: Er hatte Belana kurz zuvor bei einer Untersuchung wehgetan.
"Auf dem Rückweg traf ich einen Am. Staff.-Rotti-Mix-Besitzer aus unserer Nachbarschaft. Sein Hund ist Ginas Bruder, aber er ist auch zu Welpen sehr nett. Belana wich trotzdem jedes Mal aus, wenn er auf sie eingestürmt kam. Sie zog zwar nicht die Rute ein, wirkte aber trotzdem sehr verunsichert. Nun ja, er sieht ja auch fast so aus, wie Gina."
Anmerkung zu Gina: Sie hatte sich Belana als kleinen Welpen gegriffen und wie ein Kaninchen geschüttelt, was Belana sehr geängstigt hat.
Aron war eine kurze Zeit kopfscheu, wenn man mit einem Stöckchen auf ihn zukam, statt sich auf ein Spiel zu freuen. Menschen mit Spazierstock oder zugeklapptem Regenschirm mochte er den Rest seines Lebens nicht mehr. Über den Grund kann nur spekuliert werden (Tagebuch-Eintrag vom 13.2.2000) :
"...Bei Aufräumarbeiten entdeckte ich auf den Platten ganz nahe am Törchen eine in über 100 scharfe Scherben zerdepperte Bierflasche innerhalb des Gartens. Meine Hunde haben leider nicht nur Freunde. Gottlob ist keiner in die Scherben gelaufen. Bei Welpen ist es sogar möglich, dass sie Scherben verschlucken, was mit einem qualvollen Tod geendet hätte! Ich sperrte also die Welpen in die Küche, orderte "Platz!" oben im Garten für die Großen und putzte die Scherben weg. Bei Spielen mit einem Ast fiel mir auf, dass Aron wiederholbar 2 m zurückweicht, wenn man mit dem Ast auf ihn zukommt. Dieses kopfscheue Verhalten hat er noch nie gezeigt. Es scheint, dass jemand nachts meine Hunde am Zaun ärgert, offenbar nicht nur mit Bierflaschen-Detonationen, sondern auch mit Stock-Schlägen. Hier rächt sich, dass sie zum Schutz der Nachbarschaft so streng gelernt haben, Leute außerhalb des Zauns nicht anzubellen. Man bekommt solche Situationen einfach nicht mit. Es scheint missgünstige Menschen zu geben, die gerade jetzt, wo wir Welpen inseriert haben, unseren Hunden gegenüber boshaft werden. Man muss wirklich darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, die Großen über Nacht in die Hütte zu sperren oder zumindest durch Anleinen auf der Terrasse in ihrem Aktionsradius zu beschränken, damit sie solchen Typen nicht zu nahe kommen..."
Ich gab schließlich die Garten-Übernachtung auf und zog es vor, die Hunde nachts in der Wohnung einzusperren. Das ist das Sicherste. Leider begannen daraufhin Nachbarn, die über uns wohnten, sich über nach Hund riechende Abluft zu beschweren – Sie hätten den Bau von Zwingern im Garten mit Hilfe des Ordnungsamts durchgesetzt, wenn wir nicht vorher weggezogen wären.
Über den gerade zurückgekauften, neun Monate alten Anders schrieb ich (Tagebuch-Eintrag vom 8.9.2000):
"Wenn vom Garten aus schimpfende und streitende Menschen zu hören sind, neigt Anders dazu, unsicher zu bellen und zu mir zu kommen. Wer weiß, was dieser Hund im letzten Halbjahr so miterleben durfte bzw. musste? Schimpfen und lautes Streiten wird ihn bei uns wahrscheinlich nicht belasten. Es kommt einfach nicht vor. Vielleicht wurde er auch manchmal lautstark zurechtgewiesen, wenn er was angestellt hatte? Auch das kommt bei uns nicht vor, abgesehen vom 'Nein!'."
Aron brach einmal ins Eis ein. Die Eisfläche trug einen Hauch von Schnee (Tagebuch-Eintrag vom 22.3.2001) :
"... Auf einer Eisfläche, an deren Rand die Hunde trinken durften, brach Aron krachend ein. Alle Hunde flüchteten vom Eis auf den Weg zurück. Aron war es sehr unangenehm. Mehrfach schüttelte er seinen mächtigen, nassen Pelz aus. Ich rannte ein Stück mit den Hunden vor, damit Aron wieder warm würde. Ich denke, er wird demnächst vorsichtiger sein, wenn er Eisflächen begegnet..."
Aron meinte offenbar, die Gefahrenstelle wieder zu erkennen, als Dez. 2002 ein wenig Schnee auf einem unserer Anbaudächer lag, auf das sich unsere Frisbee verirrte. Die Fläche lag unterhalb unseres Freigeheges, war weiß und sehr eben. Er scheute und musste zu meinem wiederholten "Voran!" vom Berg aus angeschubst werden, so dass er auf dem Dach landete. Das Bringen der Frisbee war kein Problem. Als sich die Frisbee erneut dorthin verirrte, brauchte Aron keine Extra-Aufforderung mehr. Er sprang ganz selbstverständlich auf das Dach hinunter und holte die Scheibe.
Der Orientierungssinn von Hunden ist erstaunlich. Man kann ihn auf längeren Wanderungen gut testen. Hier ein Beispiel. Ich verwendete meine Hunde auf dem Rückweg einer insgesamt 8-stündigen Brocken-Wanderung als "Pfadfinder" (Anmerkung: Der Brocken ist mit 1143 m der höchste Berg im Harz. Tagebuch-Eintrag vom 28.7.2001):
"... Auf dem Hinweg gingen wir die zweite Hälfte auf anderen Wegen, als auf unserer letzten Wanderung. Auf dem Rückweg gingen wir dagegen den gleichen Weg wie vor drei Tagen. Ich wollte das Orientierungsvermögen unserer Hunde testen und ließ sie in allen Kreuzungsbereichen vorlaufen. Blieben sie stehen und schauten sich nach mir um, gab ich nur ein 'Auf dem Wege voran!' und weiter keinen Richtungshinweis. Die Hunde überrannten zwar eine versteckt liegende Abzweigung, die sie von vor drei Tagen hätten kennen müssen, irrten sich aber kein einziges Mal auf dem Streckenabschnitt, der mit dem heutigen Hinweg identisch war. So ganz sollte man sich dennoch nicht auf Hunde als Pfadfinder verlassen, weil die Gefahr besteht, dass sie zu einer Wasserstelle oder auf einer Wildfährte auch einmal bewusst falsch abbiegen. Trotzdem kann der Orientierungssinn der Hunde gerade bei Dunkelheit eine große Hilfe sein. Hinter uns begann ein Gewitter, als es schon vollständig finster war. Es irritierte die Hunde nicht. Wir erreichten gerade noch das Auto, bevor die ersten Tropfen fielen..."